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Malerei als existentieller Dialog, Integrale Perspektiven Juli 2017

Die von mir sehr geschätzte philosophische Zeitschrift „Integrale Perspektiven“ bat mich eine Position zu meiner künstlerischen Arbeit zu schreiben.

Ich habe dafür eine Gegenüberstellung meiner aktuellen Tape Malerei und der zeichnerischen Serie „Where is my Code?“ gewählt.

Malerei als EntTäuschung

Immer diese Enttäuschung!
Die Enttäuschung in den Gesichtern der Menschen, wenn sie vor meinen Bildern stehen, so wie vor einigen Wochen, als ich mit einem Besucher meiner Ausstellung vor dem Bild „Erfassung I“ stand:

„Ich kann gar nichts erkennen!“

„Vielleicht … wenn ich mir Mühe gebe … ah doch …. hier! Einen Baum … oder hm … nein .. ein Einkaufszentrum! Ja! Es ist ein Einkaufszentrum! Hab ich recht? Sie wollten ein Einkaufszentrum malen…?“

Ich denke an den Tag, an dem ich zum ersten mal eine FLÄCHE wahrnahm – einen multi-perspektivischen und dennoch flächigen Bildraum, anstelle einer auf 2 Dimensionen beschränkten Ober-Fläche.

Seither treibt mich der Wunsch an, diesen Bildraum so eindeutig und stimmig zu gestalten, dass er sich für den Betrachter ebenso selbstverständlich erschließt, wie beispielsweise der Anblick eines Stuhls oder eines Tisches – und ich meine tatsächlich den Anblick des Objektes Stuhl oder Tisch, nicht den Anblick des Abbildes des Objektes.

Malerei als EntTäuschung

Während meines Malerei Studiums wurde mir deutlich, dass der künstlerische Prozess zu einer Art Spiegel werden kann, womit ein Dialog zwischen äußerer Gestaltung und innerer Selbst-Gestaltung für mich begann:

Die innere Intention – die gestaltende Bewegung – Reflexion des Gestalteten – Abgleich mit der Intention und zugleich fließende Korrektur des Beabsichtigten anhand des Verwirklichten – erweiternde Verwandlung der Absicht – und wiederum Eintauchen in das Loslassen innerhalb der physischen Ergreifung – Mitfließen bis zum nächsten zurücktretenden Auftauchen – das Gestaltete anerkennen als das Abbild der aktuellen Fähigkeit zur Verwandlung der inneren Intention.

In meiner aktuellen Ausstellung „Codes und Tapes“ in der Galerie „Der Kunstbetrieb“ in Dortmund greife ich dieses Werden des Flächigen auf und stelle diese in ein Gegenüber: malerisch-gefühlt und graphisch-konzeptuell.
Beide Bereiche arbeiten mit der Verwandlung der Oberfläche zur Fläche und der Selbst-Referentialität des Bildes.

Mit Tapes (Klebebändern) – mittels derer ich zu Beginn des Prozesses die Bildfläche grundlegend gliedere, schaffe ich einen Ankerpunkt, zu welchem ich innerhalb des Prozesses immer wieder zurückkehren kann, um die Stimmigkeit zu überprüfen.
Im weiteren Verlauf arbeite ich mit der geklebten Grundstruktur – mal, indem ich sie aufbaue und vertiefe, mal indem ich sie bewusst auflöse.

 

Bild Entwicklung „Irish Lake“, Tapes und Mischtechnik

IrishLake1 - Stufe 1 - Brigite Felician Siebrecht
IrishLake1 - Stufe 2 - Brigite Felician Siebrecht
IrishLake1 - Stufe 3 - Brigite Felician Siebrecht
IrishLake1 - Stufe 4 - Brigite Felician Siebrecht

„Irish Lake“ / Tape Malerei Brigitte Felician Siebrecht

Bild: "Irish Lake" von Brigite Felician SIebrecht

„Das TAO der Selbstauflösung – akzeptiere alle Widersprüche in dir“ / Tape Malerei Brigitte Felician Siebrecht

Im malerischen Prozess löse ich mich auf diese Weise spielerisch von einer spontan sich aufdrängenden Bewertung:

gut oder schlecht?

Ich stelle die Bewertungen zur Seite, zugunsten der Frage nach der Funktion innerhalb des Gesamten.
Bedeutung wird erst erkennbar im Zurücktreten, während das Detail nur in der gefühlten, nicht reflektierten physischen Einheit stimmig gestaltet werden kann.

Eine qualitative Modulation entsteht an den jeweiligen Übergängen, in einem kontinuierlichen ineinander Schwingen der ‚Pole‘ zwischen Nähe und Ferne, Funktion und Bedeutung, Ruhe und Bewegung, Einzelnem und Gesamtheit, Struktur und Bedeutsamkeit, Hell und Dunkel, Hingabe und Reflexion usw.

Die Malerei bewegt sich also optimalerweise in einer Art Pendel Bewegung, die sich mir auch als Analogie zum Biographischen Gestalten darstellt.


Dem gegenüber stelle ich die grafische, konzeptuelle Serie „Where is my Code?“, die sich mit dem Spiel zwischen analogen und digitalen Medien beschäftigen.
Gezeigt werden Menschen in einer Haltung, als schauten sie in einen (imaginären) Spiegel.

Where is my Code / Brigitte Felician Siebrecht

where is my code -stufe 1 - brigitte felician siebrecht
where is my code -stufe 2 - brigitte felician siebrecht
where is my code -stufe 3 - brigitte felician siebrecht
where is my code -stufe 4 - brigitte felician siebrecht

1-
Ich beginne mit musterartigen, kleinteiligen Krakeleien, die das Gesamtbild zunächst in einer Art Chaos anlegen.

2-
Zusammenfassung mittels einfacher gesetzter Flächen.

3-
Bildung grafisch-linearer, übergreifender Bezüge.

4-
Im nun folgenden Schritt fotografiere ich das entstandene Bild und exzerpiere dessen digitalen Code – quasi die „DNA des Bildes“ – mithilfe des Computers.
Fragmente des digitalen Textcodes verwende ich nun wiederum als gestalterisches Element – es entsteht eine Art rekursive Schleife und ein Hin und Her zwischen Funktion und bildhafter Bedeutung.
Das Bild enthält sich selbst, während sich der Ausgangspunkt umstülpt und damit zum gestalterischen Element wird.

Auch hier deuten sich Analogien zum biographischen Erleben und der psychologischen Selbstreflexion an.

Bewusst gestaltete Aufmerksamkeit – auf die eigene Entwicklung gelenkt – wird zum Gestaltungswerkzeug für die eigene Persönlichkeit.
Der Dualismus: Unbewusst / Bewusst löst sich auf zugunsten einer transparenten und immer komplexer werdenden Charakteristik.

Dem gegenüber arbeitet der malerische Prozess über das Empfinden, über ein intuitives und physisches Erspüren der Stimmigkeit.

*

Man verliert sich quasi in der Hingabe an das Detail, um wieder zu erwachen in die ordnenden Tätigkeit der Erfassung des Gesamtzusammenhangs.

Die Malerei hilft, die Illusion über das eigene Selbst schrittweise zu demontieren und ist damit für mich eine liebevolle und kreative Art der Selbst Ent-Täuschung…
Denn jede Unzulänglichkeit ist zugleich Ausgangspunkt für eine neu ausgerichtete absichtliche Verwandlung.

Wir stehen noch eine Weile versunken in die Betrachtung des Bildes „Erfassung III“ und zum Schluss darf ich meine Visitenkarte weiterreichen …
Ich bin froh, dass ich das Einkaufszentrum bis heute nirgends erkennen kann im Bild.

Erfassung I

Bild "Erfassung 1" von Brigitte Felician Siebrecht
Gedichte|Texte

ich verbleibe

Ich verbleibe
Sprachlos
Ohne Antwort
undurchdringlich
zur Endgültigkeit erstarrt
die Lichtung
vor einem Wimpernschlag
noch mondbeschienen

Ich verbleibe
Vom tobenden Sturm zerschüttelt
Reglos
ausgehärtetes schwarzes Glas
vor einem Wimpernschlag
noch ein Sternschnuppen übersätes Firmament

Ich verbleibe
Außenhülle unsichtbar
Mit dem leeren Fenster das in mir gähnt
vor einem Wimpernschlag
der weite Blick auf ein blaugrünes Meer

Ich verbleibe
Abseits
Abwesend

Vergessen
von mir selbst

Dort
vor einem Wimpernschlag
ein Berühren
vor einem Wimpernschlag
Das Glück ohne Namen

 

poem (c) by brigitte felician siebrecht 2015

Gedichte|Texte

Aussenhaut

Hast du geahnt,

dass sie eines Tages kommen
Und rütteln und zerren
Und an deiner Außenhaut reißen
Und sprechen
„So kann man nicht sein!“
Verachtung dir auf den Leib brennen
Mit ihren Realitäts-Monokeln
rufen
„So kann man nicht sein!“
Hast du geahnt
Dass sie eines Tages kommen
nicht nur an der Tür klopfen
sondern in deinem Bett liegen
mit dir am Tisch sitzen
Mit ihren Realitäts-Monokeln
und verzweifelt schreien:
„So kann man nicht sein!“

(c) brigitte felician siebrecht 2015

Gedichte|Texte

(hier & ) dort die kunst

In der bitterlichen Einöde
der zu unansehnlicher Form
geronnen Banalität
Wo man mit letzter Kraft
kauernd standhält
Gegen das alles dem Erdboden gleichmachende
Finale der Belanglosigkeit
Dort Stirbt die Kunst
Hinein in die unbeschriebene Leere
Und das Entleerte bleibt
Als hätte es niemals
ein Etwas gegeben
Als wäre da niemals
ein Sehen oder Hören gewesen
Als hätte man niemals
ein Rauschen vernommen
In keinem Ding
Das es niemals gab
Und dann
Aus der vollständigen Entwerdung
Aus dem Unmaß
der sich selbst im Wahn umstülpenden Leere
steigt sie doch wieder empor ….
Nicht mehr faszinierend…
Nicht mehr ermutigend….
Nicht mehr erstrebenswert …
Dafür aber Splitter Faser nackt …
Wie grausam!
Wie bitter!
Wie alt bekannt.
Und Sie spricht
Mit siegesglänzenden Augen
Unwiderstehlich
Und mit der donnernden Stimme
eines Gottes
In mein Mark Und Bein:
‘Lauf weiter, Sklave!’

 

(c) brigitte felician siebrecht 2015

Gedichte|Texte

Atem ohne Wald

 Als ich meine Seele fragte, was die Ewigkeit mit den Wünschen macht, die wir sammelten, da erwiderte sie: Ich bin die Ewigkeit! 

Khalil Gibran

 

 

atem ohne wald

poem by brigitte felician siebrecht 2014

Jetzt wo Abgrund
In entglaubtem Land
Zur Ganzheit enthüllt
leer verzehrt in Vereinigung
wo das Lebendige
in Sich Zerfallen ist zur Gänze
wie Seele ohne Staub
Glanz ohne Schein
Atem ohne Wald

Wo komme ich an?

ohne mich
wenn ich ankomme
dann Vielleicht im Rest
Der Nichts ist

als Eigentlich ICH

(C) brigitte felician siebrecht 2014

 

shortthought|Texte

Erzähle deine eigene Geschichte

Letter to myself
 
Schreibe die Geschichte deines Lebens ab heute selber.
 
Finde heraus, wieviel von dem, was du bisher als DEINE GESCHICHTE betrachtet hast, nur aus einer unreflektierten Adaption an die Muster deiner Eltern und Vorfahren resultiert.
Finde deine eigenen Zusammenhänge – webe dein eigenes Netz der Bedeutungen.
 
„Es ist nie zu spät eine glückliche Kindheit gehabt zu haben.“
(Mea Voß)
 
Erinnerungen sind nicht unumstößlich, nicht absolut festgeschrieben.
Sie werden definiert durch die Bewertung, die du ihnen gibst, durch die Bedeutung, die du ihnen zuschreibst, die du „an sie dran hängst“.
 
Die Form deiner Erinnerungen (nicht der Inhalt) wird durchlässig und formbar, je nachdem, welche Gefühle und Emotionen du daran knüpfst.
 
Als nächstes wirst du feststellen, dass die bisherige Form deiner Erinnerungen – und somit die gesamte Beschaffenheit der Geschichte deines Lebens – auf genau diesem Weg entstanden ist: Durch deine eigenen Zuschreibungen!
 
Wir benötigen diese Kopf- und Wahrnehmungsfilter, um in neuen Situationen schnell handlungsfähig zu sein. (Wir treffen immer wieder analoge Beurteilungen)
Wahr sind sie deshalb nicht. Ob wir optimistisch, pessimistisch, mutig oder ängstlich reagieren ist schlichtweg unserem Filter geschuldet – nicht etwa der tatsächlichen Realität.
Realität ist neutral.
Erst unsere Emotionen und Bedeutungszuschreibungen machen Dinge „gut“ oder „schlecht“ etc.
 
„Narrative truth shapes our impression of the world more than historical truth.“
(Oliver Sacks)
 
Es liegt also einzig an dir selbst, welcher Geschichte deines Lebens du dich aussetzt und verschreibst.
 
Bewusste Veränderung der Erinnerungs Zuschreibungen wird dein aktuelles Leben vollständig anders ausrichten.
(Natürlich geht das nur mit täglicher Übung der neuen Reaktions- und Zuschreibungspfade)
 
Die Geschichte des eigenen Lebens selbst bewusst und SELBSBESTIMMT zu gestalten ist die beste Art und Weise die Gesundheit des Herzens zu erhalten oder wieder herzustellen.
Letter to myself
 
Write your own story of your life.
 
Find out how much of the story you believed until now is just an unconscious adaption of the patterns of your ancestors and parents…
Then find your own coherencies – build your OWN NEXUS
 
„It is never too late for having had a lucky childhood“
 
Memories are not locked-in, not cast-iron.
They are depending on what value you will attach to them, on what meaning you will give to them.
Their shape becomes transparent and mouldable depending on what emotions you chain to them.
 
Next find out that the present shape of your memories – and your whole story – arose in exactly this way: by your own ascriptions!
We all need to set these filters to our memories to be able to make up our minds quickly when we meet new situations.
But is our filter right? Is it true? Wether you react optimistic or pessimistic, couraged or worried – it’s just YOUR filter – not reality.
 
Reality is neutral.
Finally our emotions and ascriptions create good or bad.
 
„Narrative truth shapes our impression of the world more than historical truth.“ (Oliver Sacks)
 
So it’s on you which story of your life and of yourself you expose yourself to.
 
Begin changing the attribution of your memories and find out how it changes your today’s life.
(Of course you need to practice it – make your daily repetitions:)
 
Telling your own and consciously self designed story of your life is the best way to keep sanity of the heart.

Gedichte|Texte

Fraglos

Black heart of doubts

Eines Tages tratst du ein
In mein Zimmer
Die Tür war offen
Mein Raum
war fraglos

War du und ich
wie gefächertes Glück

Hast dich ausgeschaltet
Nach einiger Zeit
Wurde auch draußen
Kein Tag mehr
Gab es kein draußen
Und kein Zimmer mehr

nicht mehr eine Spur
Im Dunkel
Kein Hauch
niemand der sieht
Schwarze Fläche
Unendlicher Zweifel

Bleibt
Allein
Ohne dich

Hätte ich meine Tür schließen sollen?
Lange bevor du kamst?
Sehr lange bevor du kamst?
Zur Sicherheit?

Gäbe es noch ein Zimmer
Gäbe es noch eine Tür
Gäbe es noch Augenaufschlagen
Fraglos

Gedichte|Texte

Als

where is my code artwork by brigitte felician siebrecht

 

Als Sehnsucht
ankam
Wo sie sich selber vergaß
Trank ich ganze Schwärze
wie gelben Honig
Zeichnete ich Sterne
mit leichten Fingern
Gleitend in die Tiefe des Universums
Über Horizonten
wie Glücksstaub in unseren Händen
Kehrten sich Nähe und Weite
zu einem einzigen Innen
Wie spielend entleert
jeder Frage
Bevor sich Nacht über Tag
in Schlafmüden Traum stülpte
Und zerriss ohne Rest
Sich der Sehnsucht erinnernd
in Entsetzen aufgebäumt
und geräuschlos barst
In den unendlichen Abgrund
Aus dem sie einst entsprang
Um von vorne zu beginnen

Mit IRGEND ETWAS
ohne Bedeutung.

 

(c) copyright Brigitte Felician Siebrecht 2014