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Simone Rikeit (Kunsthistorikerin) über die Aktuellen Arbeiten von Brigitte Felician Siebrecht

Brigitte Felician Siebrecht „codes und tapes“

(Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung im Kunstbetrieb am 06.05.2017)

Anlässlich der Einzelausstellung „codes und tapes“ im Kunstberieb Dortmund 2017 entstand folgender Review der Kunsthistorikerin Simone Rikeit zu Brigitte Felician Siebrechts Arbeiten:

Unter dem Titel „codes und tapes“ zeigt Brigitte Felician Siebrecht hier im Kunstbetrieb bis zum 2. Juni Arbeiten verschiedener Techniken aus den letzten Jahren.

Die in Frankfurt geborene Malerin und Mediendesignerin verbindet in dieser Ausstellung einen Teil ihrer verschiedenen Ausbildungen und Professionen: so unter anderem ein Studium der „Freien Malerei“ und eine Ausbildung zur Mediendesignerin.

Mit dem 2013 entstandenen querformatigen und interaktiv angelegten Druck „we’re readable“ spielt Siebrecht auf diverse gesellschaftliche und politische Aspekte an, die nach wie vor sehr aktuell sind.

we're readble / Wandbild 2013 Brigitte Felician Siebrecht
we’re readble / Wandbild 2013 Brigitte Felician Siebrecht

Zu sehen sind verschiedene Personengruppen, Demonstranten, ein Mann mit Gasmaske, ein Panzer vor einer zunächst als Ornament wahrnehmbaren Wand. Eine weibliche Figur hält uns mit aufgerissenem Mund die Forderung „We want democracy“ vor Augen. Auf einem aufgeklebten Zettel steht: „Wieviel von dem, was wir sehen, dürfen wir noch glauben?

Es sind Bilder, wie wir sie aus dem Arabischen Frühling oder dem Ukraine-Konflikt kennen, Bilder, die aber ebenso übertragbar sind auf die Ereignisse in der Türkei im letzten Jahr und den vergangenen Wochen.

Bei weiterem Hinsehen wird sichtbar, dass es sich bei den Ornamenten um QR-Codes handelt. Es sind von Siebrecht selbst generierte Codes, sogenannte DataMatrix Codes , hinter denen sich Textfragmente aus Wikileaks, vom Chaos Computer Club oder aus Polizeilichen Personenprofilen verbergen. Der Betrachter hat die Möglichkeit, mit dem Smartphone und einem Code-Reader die Zeichen abermals zu entschlüsseln und wird auf Sätze stoßen wie: „Internet-Nutzer werden umfassend überwacht“.

We’re readable“ wirft Fragen auf.

Es sind Fragen wie zum Beispiel:

Welche Daten-Spuren hinterlassen wir?

Welche Auswirkungen hat digitaleTransparenz auf uns und die Gesellschaft?

Welchen Bildern, Nachrichten und Informationen können wir glauben?

Wie funktioniert Demokratie, Selbstbestimmung, Freiheit in Zeiten massenhafter Datenspeicherung und Überwachung?

Berührt diese Arbeit gesellschaftliche bis hin zu politischen Themen, beschäftigt sich „where is my code?“ auf der gegenüberliegenden Wand eher mit dem Individuum.

Ausgehend von einem Portraitfoto, dies kann ein im Internet gefundenes oder selbstgemachtes Foto sein, verwendet Siebrecht neben dem eigentlichen Bild die Codierung der Bilddatei und legt sie über oder unter die gestalterisch reduzierten und von schwarzen Flächen begleiteten Gesichtsformen.

Es sind Zahlen, Buchstaben und Zeichen. Sie zu verstehen und zu entschlüsseln, gelingt nicht.

Die Künstlerin reproduziert, zerlegt und seziert hier im übertragenen Sinne den Menschen und seine „Codes“ auf unterschiedlichen Ebenen und läßt, wie sie selbst sagt, eine „rekursive Schleife“ entstehen. Bei uns mögen Fragen nach den genetischen oder psychologischen Codes, nach den Innen- und Außenbildern und -wirkungen entstehen.

Untersucht Brigitte Felician Siebrecht hier die gestalterische Qualität von Codes, von Zahlen und Konzeptuellem, Rationalem, maschinell oder mathematisch produzierten Inhalten, stehen bei dem Malereien im vorderen Bereich des Ausstellungsraumes ganz andere Dinge im Vordergrund.

Hier ist es der Körper, die Geste und das Gefühl.

Den Bildern liegt in den meisten Fällen, wie auch bei dem Gemälde „Wimpernschlag“ aus dem letzten Jahr, graues Tapeband zugrunde, mit dem Siebrecht der locker gespannten Leinwandfläche habhaft wird.

Mit dem Tape gibt sie eine Struktur auf der Leinwand vor, eine Art Stütze.

Diese wird mit Farbspritzern, gespachtelter und gemalter Farbe überarbeitet, so dass oft eine reliefartige Struktur entsteht.

Dass sie die Leinwand nicht nur als reinen Funktionsträger sondern als gestalterischen Teil des Bildes begreift, wird durch die lockere Aufspannung deutlich.

Auch die Malerin selbst steht nicht ruhig an einer Leinwand. Das ein oder andere Mal liegt die Stofffläche auf dem Boden und wird von allen Seiten bearbeitet.

Diese Arbeitsweise erinnert an diejenige des amerikanischen Künstlers Jackson Pollock, der ebenfalls durch Herumschreiten und -laufen seine Körperbewegungen in das Bild mit eintrug und die zu gestaltende Fläche allseitig bearbeitete.

Siebrecht tut dies ebenso durch weit ausladende, gestische Armbewegungen, wie sie beispielsweise der deutsche Informelkünstler Karl Otto Götz ab der Nachkriegszeit mittels seiner Rakeltechnik umsetzte.

Aus den verschiedenen gestischen und abstrakten Gemälden mit freien Formen und Farben sticht eines heraus: Es ist ein Bild, das einen abstrahierten Kopf zeigt. Es bildet die formal-thematische Klammer zum hinteren Teil des Ausstellungsraumes und ist gleichzeitig der Hinweis auf eines der Hauptthemen von Brigitte Felician Siebrecht in ihrer Kunst: das Portrait, auch wenn es hier in der Ausstellung seltener vertreten ist.

Ging es bei den Arbeiten im hinteren Teil des Raumes um die künstlerische Qualität von Codes, Zahlen und Zeichen, um das konzeptuelle Arbeiten, geht es hier bei den Malereien um das Gefühl, die Intuition, das mitunter Ungeplante und das Körperliche.

Doch auch hier ist der Betrachter, sind wir eingeladen, aktiv die Bilder zu betrachten. Details aus der Nähe zu sehen und wieder Abstand zu nehmen, um das Ganze zu erfassen.

Brigitte Felician Siebrecht zeigt mit ihrer Ausstellung hier im Kunstbetrieb ihre äußerst mehrschichtige, künstlerische Arbeitsweise.

Im eher wortwörtlichen Sinne mehrschichtig, weil sie abfotografiert, Dateicodes freilegt oder QR-Codes generiert, druckt, Inhalte übereinanderlegt, überklebt, überspachtelt, überspritzt und übermalt.

Im übertragenen Sinne, weil sie mit ihrer Arbeit auf vielschichtige Art und Weise Fragen aufwirft, Denkanstöße gibt, entschlüsselt und verschlüsselt oder uns emotional, intuitiv berührt.

Sie selbst zeigt sich dabei in einer Ganzheitlichkeit, zwischen Ratio, Konzept und zeichenhafter Reduktion einerseits und materieller Fülle, emotionaler Geste und Spontanität andererseits. Pole, in denen wir Betrachter uns spiegelbildlich und rein menschlich sehr leicht wiederfinden können. Eben diese scheinbaren Gegensätze, die nur durch Zulassen zu einer Ganzheitlichkeit führen können, bringt das Gemälde „DAs TAO der Selbstauflösung – Lasse alle Widersprüche in dir zu“ zum Ausdruck.

bfs